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21. Dezember 2008. Rezensionen: Indien - Geschichte & Religion Hyderabad im Laufe der Jahrhunderte

Religiöse Toleranz, Synkretismus und Wirtschaftskraft

Diese ausführliche Sammlung von Beiträgen über Hyderabad ermöglicht einen Rückblick auf seine Geschichte, die Herrschaftsdynastien, den Reichtum der Eliten und ihren besonderen kulturellen Lebensstil, das Ambiente der Stadt mit ihrer religiösen Toleranz, den Sufis und, nach der Annexion durch den indischen Staat, auch auf die vielfältigen Veränderungen der Hauptstadt des Bundesstaates Andhra Pradesh bis hin zum heutigen Cyberabad.

Der Penguin Verlag bemüht sich neuerdings verstärkt, die Geschichte von indischen Städten wie Lucknow, Bangalore, Kolkata und Hyderabad in Erinnerung zu rufen. Syeda Bilgrami Imam, national und international in der Werbung tätig sowie selbst in Hyderabad groß geworden, lässt 41 Autoren und Autorinnen  einen mosaikartigen Überblick über die Geschichte dieser mittlerweile ca. 7 Millionen Einwohner zählenden Metropole geben. Das Buch bringt dem Leser viele der Menschen, auch mit einigen Anekdoten, nahe, die in dieser Stadt mit dem beeindruckenden Charminar, den Gartenanlagen, dem Fort von Golconda und den mittelalterlichen Qu’tb Shahi Grabmälern,  im Laufe der Jahrhunderte gelebt und gewirkt haben. Religiöse Toleranz, Synkretismus und Wirtschaftskraft prägten diese in ihrer bisherigen Geschichte so interessante Stadt.

Narendra Luther, ein kenntnisreicher ehemaliger Chief Secretary von Andhra Pradesh und Autor zahlreicher Bücher, beschreibt Hyderabad aus der Sicht von Ausländern zwischen dem 16. bis 20. Jahrhundert. "Holländer, Portugiesen, Franzosen und Briten versuchten alle eine Ausgangsbasis an der südlichen Küste Indiens, die vom Sultan von Golconda kontrolliert wurde, zu errichten."(S. 2) Die Qutb Shahi-Dynastie, die eine "Politik des Säkularismus" (S. 22) befolgte, erkannte die Oberhoheit des persischen Herrschers (Shah) an.

Anwar Alikhan beschreibt den Reichtum, u. a. mit seinen berühmten Diamanten, und die kulturelle Blüte des Reiches von Golconda, so "Dichtung, Musik, Kunst, Tanz, Essen und Architektur" (S. 22) mit ihren spezifischen indo-persischen Ausdrucksformen. Nach achtmonatiger Belagerung gelang durch Verrat die Eroberung durch Aurangzeb 1687. Damit setzte der Niedergang von Hyderabad ein, zumal Aurangabad Hauptstadt der Dekkan-Provinz des Moghul-Reiches wurde.

Ismat Mehdi, Professorin für Arabisch und Präsidentin der Hyderabad Deccan Association, beschreibt in ihrem Beitrag "Their Vision Lives On" (S. 71-96), die Lebensgeschichten bedeutender Persönlichkeiten, die Hyderabad im Laufe der Jahrhunderte maßgeblich prägten. Sie reichen vom vierten Qutb Shahi-Herrscher Sultan Muhammad Quli Qutb Shah (1580-1611), dem Begründer von Hyderabad 1592, über verschiedene Dewane (Premierminister), bis hin zu Sir Akbar Hydari (1869-1942), der mit seiner Fiskalpolitik, ohne Einkommenssteuer, Hyderabad in den Zeiten der großen amerikanischen Depression eine blühende Ökonomie bescherte. Ebenfalls Erwähnung finden die legendäre Dichterin, Freiheitskämpferin und Congress-Präsidentin Sarojini Naidu (1879-1949) oder aber Mehdi Nawaz Jung (1894-1967), einem exzellenten Administrator in Diensten des Nizam von Hyderabad. Das Wohnviertel der Banjara Hills, Krankenhäuser für Krebskranke, Mütter und Kinder gehen ebenso wie das Salar Jung Museum mit Werken aus der Sammlung des Nizams, dem einst reichsten Mann der Welt, auf Mehdi Nawaz Jung zurück.

Lesenswert ist auch heute noch die im Dezember 1941 gehaltene Eröffnungsrede von Nawab Sir Mahdi Yar Jung Bahadur an der Osmania-Universität, in der er auf die wechselseitigen Interaktionen von Muslimen und Hindus, u. a. in der Musik, aber auch auf die Bedeutung der Telugu-Sprache neben dem Urdu einging.

Isaac Sequeira führt in die Mystik des Mushaira, eine Art "happening" von Dichtern (S. 130), ein. Das Mushaira wurde im frühen 18. Jahrhundert in Hyderabad sehr populär und erreichte auch zunehmend einfachere Schichten des Volkes jenseits von Adel und Intelligenz (S. 133). "Die enge Verbindung zwischen Mystizismus und dem Ghazal (Definition des aus dem Arabischen kommenden Wortes auf S. 133) ist ein weiterer Grund für die Mystik des Mushaira." (S. 137)

Der Filmemacher Shyam Benegal räsoniert in seinem Beitrag "The City I Knew" (S. 175-183) darüber, wie es dazu kommen konnte, dass die muslimische Herrschaft über eine so lange Zeit akzeptiert wurde, obwohl Muslime nur eine sehr kleine Minderheit im Dekkan darstellten. Er meint, "dass die Anliegen der Hindu-Mehrheit nicht nur angesprochen sondern auch erfüllt werden mußten.-...- Die in Hyderabad im Laufe der Jahrhunderte entwickelte Zivilgesellschaft war das Ergebnis eines informellen Arrangements zwischen religiösen Gemeinschaften, weder den Glauben des Anderen zu bestreiten oder heraus zu fordern." (S. 175) Die verschiedenen Feste wurden gemeinsam gefeiert, ungeachtet der religlösen Zugehörigkeit. "Dies alles war möglich wegen der Natur der feudalen Gesellschaft." (S. 176)

Dies alles sollte sich drastisch nach der indischen Unabhängigkeit und dem Einmarsch der indischen Armee in den Staat am 13. September 1948 ändern. William Dalrymple (In Conversation, S. 59) spricht über die sich dem Einmarsch anschließenden Morde und Massenvergewaltigungen durch die indischen Truppen und lokale "Hindu Rowdies" und  verweist auf einen Bericht, wonach angeblich ca. 200.000 Hyderabadi Muslime nach der "Polizei-Aktion" ermordet worden sein sollen (S.60). Zuvor hatte der Nizam die Unabhängigkeit seines Staates von Indien erklärt.

Mit dem Fall des Nizam bekam die bewaffnete Telangana-Bewegung der damals noch vereinten Kommunistischen Partei Indiens neue Schubkraft. Interessant ist dabei einerseits, dass Bengal große Gemeinsamkeiten zwischen Feudalen und Kommunisten ("Die meisten Kommunisten aus Hyderabad hatten feudale Hintergründe") zu erkennen meint (S. 181) und andererseits, dass bis heute die Frage eines Telangana-Staates politisch akut ist und bei der bevorstehenden Unterhauswahl 2009 in Andhra Pradesh eine wichtige Rolle spielen wird. Benegal erinnert daran, dass der Staat Hyderabad in drei Teile gespalten wurde, die alle von Bundesstaaten auf der Grundlage von Sprache absorbiert wurden. "Der einzig wirklich erfolgreiche mehrsprachige Staat in Indien kam zu einem abrupten Ende". (S. 182)

BBC-Veteran Mark Tully blickt auf seine Begegnnugen mit dem Ex-Filmstar und Ministerpräsidenten N. T. Rama Rao, der mit seiner Telegu Desam Party den Congress  trotz eines intensiven Wahlkampfs von Premierministerin Indira Gandhi 1984 klar besiegte, sowie seinen ihn als Ministerpräsidenten stürzenden und ablösenden Schwiegersohn Chandrababu Naidu zurück, der "eine von Indiens verschlafensten Hauptstädten" (S. 241) in das IT-Zeitalter führte.

Omar Goswami, früher Chief Economist des Arbeitgeberverbandes Confederation of Indian Industries (CII), verweist auf das rasche Anwachsen der auf Wissen basierenden Industrien in Hyderabad im Bereich von IT und Pharmazeutik, so u. a. Satyam und Dr. Reddies Laboratories. Er beobachtet "eine Explosion der Kaufkraft" und einen Wandel des Lebensstils. "Hyderabad hat begonnen, eine beunruhigende Mischung von explosivem Einkommenswachstum mit bedeutender sozialer Rückständigkeit an den Tag zu legen." (S. 268) Er verweist auch auf die Gefahr eines auf Religionszugehörigkeit beruhenden wirtschaftlichen Gegensatzes, der den Hyderabad "eigenen kosmopolitischen Geist" gefährden könnte, wenn die muslimische Jugend der Stadt nicht angemessen durch Erziehung und Berufsausbildung gestärkt wird. "Das Wunder von Hyderabad ist der Synkretismus der in allen wirtschaftlichen Schichten der Gesellschaft vorherrscht." (S. 268)

D. Venkat Rao portätiert den legendären Barden Gaddar, der mit seiner Volkstanzgruppe (Janya Natya Mandali/JNM) auch das kulturelle Antlitz der einst sehr starken naxalitischen Bewegung ("People’s War Group") in Andhra Pradesh prägte. "Es (Gaddar) ist der  Name einer im Exil zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegründeten Bewegung, um durch eine gewaltsame Revolution die britische Kolonialherrschaft zu stürzen." (S. 288) Gaddars Lieder handeln von "Arbeitern, Handwerkern, unorgansierten Arbeitern, den sogenannten unberührbaren Menschen." (S. 289) Auch nach drei Jahrzehnten hat dieser Künstler, auf den in früheren Jahren auch Attentate verübt wurden, nichts von seiner sehr populären Ausstrahlungskraft eingebüßt.

Die Stärke des Buches liegt drain, dass der Leser wichtigen und scheinbar weniger bedeutsamen Menschen, so unter anderem im Beitrag "Ramlus Pickle Shop" der Kolumnistin und Buchautorin Anees Jung, wirklich nahe kommt. William Dalrymple, der mit seinem exzellenten Buch "The white Mughals. Love and betrayal in 18th century India" bereits ausführlich das damalige Hyderabad, die Intrigen am Hof und die regionale Politik beschrieb, verweist darauf, dass Hyderabad unter dem Nizam zu einem "wichtigen Zentrum des Lernens und der Künste" wurde. "Nach dem Fall von Lucknow an die Briten 1856 blieb Hyderabad das letzte Redoute indo-islamischer Kultur und das Flagschiff der Zivilisation des Dekkan mit ihrem langen Erbe vielfältiger Qu’tb Shahi, Vijayanagaran, Moghul, Kakatiyan, zentralasiatischer und iranischer Einflüsse." (S. 53)

Die Lektüre dieses empfehlenswerten Buches lohnt sich wirklich, um den Zugang zu einer wichtigen Metropole des modernen Indien gerade auch im historischen Rückblick zu ermöglichen.

Das Buch

The Untold Charminar. Writings on Hyderabad.

Edited by Syeda Imam

Penguin Books, New Delhi 2008, 335 S.

ISBN 9780143103707

 

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