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19. Juli 2008. Nachrichten: Indien - Politik & Recht Regierungskrise und mögliche Neuwahlen: UPA-Regierung kämpft um ihr Überleben

Politik-Monitor Indien – Nr. 2/2008

Die von Premierminister Manmohan Singh geführte Regierung der Vereinigten Fortschrittlichen Allianz (UPA) kämpft um ihr parlamentarisches Überleben. Die von der Communist Party of India/Marxist (CPI/M) angeführte Linke hat die über vierjährige Unterstützung der UPA-Minderheitsregierung formell aufgekündigt. Zusammen mit der Bharatiya Janata Party (Indische Volkspartei/BJP), der Bahujan Samaj Party (BSP) und verschiedenen Regionalparteien soll die Regierung vor allem wegen des indisch-amerikanischen Nuklearabkommens von 2005 bei der für den 22. Juli 2008 festgesetzten Vertrauensbastimmung im Unterhaus (Lok Sabha) zu Fall gebracht werden.

Wird es der UPA gelingen, durch die neu geschmiedete Allianz zwischen Congress und Samajwadi Party (SP) von Mulayam Singh Yadaw, früherer Verteidigungsminister und mehrmaliger Ministerpräsident von Uttar Pradesh, sowie die Hilfe eines Sammelsuriums kleinerer Parteien diese Hürde kurz vor den spätestens im Mai 2009 fälligen Neuwahlen zu überspringen? Die Tageszeitung Mail Today meint, dass sich in diesem mit allen machiavellistischen Finessen geführten Machtkampf "der schmutzige Unterleib der indischen Demokratie enthülle".

Gordischer Knoten der indischen Politik

Kritische Stimmen sprechen von einer weitgehend handlungsunfähigen Regierung Manmohan Singhs. Nicht zuletzt sei dies auf die blockierende Haltung der indischen Linken sowohl zum indisch-amerikanischen Nuklearabkommen von 2005 als auch gegenüber weitergehenden Wirtschaftsreformen zurück zu führen. Die durch ihre Wahlerfolge in verschiedenen Unionsstaaten im Aufwind befindliche BJP sieht in der Ablehnung des Nuklearabkommens eine Chance, vorzeitige Neuwahlen zu erzwingen, obwohl sie während ihrer Regierungszeit die Annäherung an die USA maßgeblich betrieben hatte und bereit war, sich mit ungünstigeren Bedingungen zufrieden zu geben. Brajesh Mishra, ehemaliger Nationaler Sicherheitsberater von Ex-Premier Vajpayee, bezeichnet das Abkommen öffentlich als optimal. Dagegen sehen die Peking-freundlichen CPI/M-Kommunisten in dem Abkommen mit all seinen internationalen Verpflichtungen (International Atomic Energy Agency/IAEA und Nuclear Suppliers Group/NSG) ein angebliches Instrument der Einbindung Indiens in die unterstellten amerikanischen Hegemonialpläne. Sie befürchten, dass Indien seine unabhängige Außenpolitik, so zum Beispiel in der Iran-Frage, danach nicht länger betreiben könne.

Zweckbündnis zwischen Samajwadi Party und Congress

Die UPA hing bislang am Tropf der indischen Kommunisten. Sie lähmten zunehmend die Handlungsfähigkeit und geplante wirtschaftliche Reformschritte der Regierung, so unter anderem größere ausländische Investitionen bei Einzelhandelsketten. Die nach ihrer entscheidenden Wahlniederlage 2007 gegen die BSP in Uttar Pradesh schwer gebeutelte SP verfügt zwar über 39 Abgeordnete im indischen Unterhaus, droht aber in dem von ihr mehrmals regierten und bevölkerungsreichsten Staat der Indischen Union zunehmend an Einfluss zu verlieren. Der Congress, einst dort stärkste Partei, hat es bislang trotz der systematischen Anstrengungen von Rahul Gandhi nicht geschafft, in Uttar Pradesh wieder nennenswert Fuß zu fassen. Gleichfalls muss die BJP nach ihrem steilen Absturz von ihrem Höhenflug in den 90er Jahren (Ram-Tempel und Ayodhya-Kontroverse) des 20. Jahrhunderts in diesem oft für die Mehrheit in Delhi entscheidenden Staat mit seinen 80 Unterhaus-Mandaten erst wieder Fuß fassen.

1998 verhinderte die SP nach der Abstimmungsniederlage von Premierminister Atal Bihari Vajpayee die damals ihres Sieges sichere Sonia Gandhi als Premierministerin. Dieser Stachel führte zu einem feindseligen Verhältnis zwischen Congress und SP. Die SP, wichtigstes Element der dritten Kraft United National Progressive Alliance (UNPA), machte jedoch eine völlige Kehrtwende und erklärte, nach einem Briefing durch Alt-Präsident Abdul Kalam, das indisch-amerikanische Nuklearabkommen, das unter anderem zu verstärkter Nutzung von Nuklearenergie für zivile Zwecke dienen soll, zu einer Frage von "nationalem Interesse".

Indische Politik entbehrt zunehmend jeglicher ideologischer und aus Diskursen gewonnener Positionen. Der SP droht in Uttar Pradesh nach dem erfolgreichen "social engineering" von Ministerpräsidentin Mayawati eine längere Phase der Zweitrangigkeit. Mit Blick auf die Unterhauswahl wollen deshalb sowohl die SP als auch der Congress, der nur weniger als 10 Prozent der Wählerstimmen in diesem 180 Millionen Einwohner zählenden Staat mobilisieren kann, dort einen Vier-Parteien-Kampf durch Wahlabsprachen verhindern. Gemeinsamer politischer Feind ist die BSP, die zudem durch Erfolge in den "vote banks" des Congress wahlentscheidende Einbrüche in vielen Staaten verursacht hat.

Nicht zuletzt wohl deshalb, so Kritiker, legte der indische Inlandsgeheimdienst Central Bureau of Investigation (CBI) nun eine Anklageschrift gegen Ministerpräsidentin Mayawati wegen unangemessenem Wohnungsbesitz sowie Geldvermögen vor. Das CBI unterstellt, dass diese durch Korruption (Taj Corridor Project) angesammelt wurden und nicht, wie von Mayawati behauptet, aus individuellen Spenden von Parteianhängern stammen. Dadurch hofft man, die BSP-Präsidentin politisch und möglicherweise juristisch schwer zu treffen sowie ihren operativen Spielraum zur landesweiten Stärkung der BSP entscheidend einzuengen.

Sieg oder Niederlage?

Die Kommunisten bearbeiten systematisch kleinere Parteien, um diese auf ihre Seite für die Kampfabstimmung am 22. Juli 2008 zu bringen. Hier spielen die Konstellationen in den einzelnen Staaten, zum Beispiel in Jammu und Kashmir im Verhältnis der dortigen CPI/M zur stärksten politischen Partei, der National Conference, eine wichtige Rolle.

Die BJP versucht, die Mitglieder der National Democratic Alliance (NDA) zusammen zu halten, denn hier drohten sowohl die Shiv Sena - wie schon bei der Wahl von Präsidentin Patil - als auch die Bauernpartei Akali Dal aus der Reihe zu tanzen. Mayawati geht noch einen Schritt weiter und versucht speziell Parlamentarier muslimischer Provenienz aus den Reihen von SP und Congress mit dem Versprechen auf sichere Wahlkreise bei der kommenden Unterhauswahl heraus zu brechen. Nachdem ironischerweise ein Politbüromitglied der CPI/M argumentierte, dass sich der indo-amerikanische Nuklear-Deal gegen die Interessen der indischen Muslime richte, versucht nun auch Mayawati mit diesem Argument die beachtliche muslimische Wählerbasis der SP in Uttar Pradesh mit seinem hohen Anteil muslimischer Bevölkerung zu erodieren.

Der Congress muss – zumal nach einer relativ schlecht orchestrierten Öffentlichkeitskampagne zugunsten des Abkommens – angesichts dieser Lage zunehmend politische Preise an die verschiedenen Lager zahlen, um sich eine Mehrheit zu sichern. Angeblich fordert die SP, die mit verschiedenen Wirtschaftsunternehmen, so unter anderem dem Dollar-Multimilliardär Anil Ambani, eng verknüpft ist, die Ersetzung von Finanzminister Chidambaran, Ölminister Deora und des Gouverneurs der Zentralbank Reddy. Selbst auf die Stimmen von zwei wegen Mordes zu langen Freiheitsstrafen verurteilten Parlamentariern soll seitens der UPA nicht verzichtet werden. Sie werden wohl von den Gerichten eine Genehmigung zur Stimmabgabe erhalten.

Angesichts der seit vielen Jahren höchsten Inflation von circa 12 Prozent sowie einem beachtlichen Rückgang der industriellen Produktion in den letzten Monaten stellt sich die Frage, ob Premierminister Manmohan Singh mit seinem Beharren, den Nuklear-Deal noch während der Amtszeit von Präsident Bush unter Dach und Fach bringen zu wollen, seiner Partei nicht einen Bärendienst erwiesen hat. Sollte er die Vertrauensfrage verlieren, dann steht es schlecht um die Wahlaussichten des Congress und der von ihm geführten Koalition. Ein Sieg könnte jedoch die Isolation der Kommunisten unter ihrem Generalsekretär Prakash Karat – einst ein Bewunderer von Erich Honecker – verschärfen und ihre Wahlchancen erheblich schmälern. Die Ambitionen der BJP unter L.K. Advani, ihrem designierten Anwärter für das Amt des Premierministers, würden so für einige Zeit auf Eis gelegt und der herrschenden Koalition so die unbedingt erforderliche Atempause verschafft. Zusammen mit  weiteren populistischen Maßnahmen und einer effektiveren Inflationskontrolle als in den vergangenen Monaten würde die UPA ihre Aussichten für die dann wohl erst 2009 termingerecht stattfindenden Unterhauswahlen entscheidend verbessern.

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