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29. Oktober 2007. Kommentare: Indien - Politik & Recht Angela Merkels Herausforderungen in Indien – Wirtschaftsinteressen und soziales Engagement

Gibt es mit den Deutschen wirklich etwas zu bereden?

Die Bundeskanzlerin landet am 29. Oktober 2007 zusammen mit Spitzen der deutschen Industrie, unter anderen von BASF, Deutscher Bahn, Deutscher Bank und diversen Versicherungen, in der indischen Hauptstadt New Delhi. Sie trifft dort auf einen politisch schwer angeschlagenen Premierminister. Gelingt es der außenpolitisch zunehmend selbstbewusster auftretenden Kanzlerin neue Akzente zwischen beiden Ländern zu setzen?

New Delhi. Zum Auftakt des Indien-Besuches wird die Kanzlerin in der Hauptstadt Vertreter der politischen Elite treffen: Neben dem Treffen mit dem Premier stehen Gespräche mit Sonia Gandhi, der Führerin der regierenden Kongresspartei, mit Oppositionsführer L.K. Advani von der Bharatiya Janata Party sowie mit Staatspräsidentin Pratibha Patil und ihrem Vize Mohammad Hamid Ansari auf dem Programm. In Mumbai (Bombay) wird Merkel dann mit Repräsentanten aus Wirtschaft, Religion und Zivilgesellschaft zusammentreffen. So soll dort ein institutionalisierter Dialog zwischen deutschen und indischen Industriekapitänen nach indisch-amerikanischem Vorbild gestartet werden. Geplant ist auch der Besuch eines Sozialprojektes. Doch was wird bleiben von Merkels Besuch außer den geplanten Abkommen über verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit und deutschen Preisen für indische Sozialarbeiter?

Hohes Ansehen, aber wenig Greifbares

Nach der Wiedervereinigung hatte es die deutsche Außenpolitik versäumt, in einen intensiven Dialog mit der indischen Elite zu treten. Zwischen 1993 und 2005 gestaltete sich die deutsche Diplomatie mittelmäßig: Viele der von nicht wenigen Indern als hochnäsig empfundenen postmodernen Deutschen – "to wine and to dine is not enough any more" – blieben vor Ort lieber unter sich. Sie interessierten sich nicht wirklich für das Gastland – ganz im Gegensatz zu den USA, die seit dem Clinton-Besuch im Jahr 2000 und speziell nach dem 11. September 2001 Indien stark umwerben und seine zukünftige Weltmachtrolle offen anerkennen. In der indischen Wahrnehmung zogen es die Deutschen stattdessen vor, ohne nennenswert eigenes Profil im Schatten der für Europa sprechenden Briten zu verbleiben, über deren geschrumpften Status man sich in Delhi durchaus im Klaren ist.

So sind die Beziehungen zwischen Deutschland und Indien jenseits aller Rhetorik keineswegs außerordentlich, sondern eher lauwarm. Trotz erhöhtem Warenaustausch und etwas höheren deutschen Investitionen gibt es seit etwa eineinhalb Jahrzehnten keine wirklich nachhaltigen Dialoge zwischen den Eliten und zivilgesellschaftlichen Akteuren beider Länder. Reiht sich Merkel in den Reigen weitgehend folgenloser Visiten deutscher Spitzenpolitiker in Indien ein? Wer spricht hier noch von Gerhard Schröder, Joschka Fischer oder Helmut Kohl? Nur der Internationalist Willy Brandt wird aktiv erinnert. So bemerkte der damalige Verteidigungsminister George Fernandes, ein Verehrer Brandts und den Deutschen wohl gesonnen, 2003, dass für ihn nicht erkennbar sei, was die Deutschen in Indien eigentlich wollten, und sein Staatssekretär ergänzte, mit den Deutschen gebe es eigentlich nichts zu bereden. Die beiden stehen mit ihrer Meinung unter Indiens Spitzenpolitikern bis heute keineswegs allein.

Der moralische Zeigefinger ist nicht mehr gefragt

Merkel wäre also falsch beraten, wenn sie mit erhobenem und moralischem Zeigefinger ihren Gastgebern gegenüber auftreten würde. Themen gäbe es angesichts des großen sozialen Elends weiter Teile der indischen Bevölkerung allerdings in Fülle. Aber auch die wohl unvermeidlichen Gebetsmühlen über die größte Demokratie der Welt sollten differenzierter ausfallen. In ihrer gängigen Allgemeinheit ohne Wirklichkeitsbezug können selbst Inder sie kaum mehr hören.

Nicht nur Nähe zur deutschen Großindustrie, die sich zunehmend in Indien engagiert, sondern auch eine wohl dosierte Empathie gegenüber den Leiden und existenziellen Problemen großer Teile des indischen Volkes sollten die Reden, Gespräche und symbolischen Gesten der Kanzlerin bestimmen. 77 Prozent der Menschen überleben mit weniger als zwei US-Dollar am Tag, 47 Prozent der Kinder sind unterernährt. Die sozialen Kosten dieser strukturellen Gewalt sind immens. Nach einer Studie von UNICEF und der Asiatischen Entwicklungsbank kostet allein die Unterernährung drei bis vier Prozent des Wirtschaftswachstums. Diese Botschaft sickert allmählich sogar in die Gedankenwelt mancher Kapitäne der boomenden indischen Privatwirtschaft und erfasst selbst Teile der Mittelschichten.

Geopolitische Gemeinsamkeiten

Es gilt, eine realistische Sprache im Umgang mit den indischen Eliten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu entwickeln. Die Zeiten unverbindlicher Freundlichkeiten sind wohl endgültig vorbei. Der west- und südasiatische Krisenbogen reicht vom Nahen Osten über Irak, Iran, Afghanistan, Pakistan und Nepal bis nach Burma. Hier gilt es, angemessen die indischen Interessen und ihre nicht selten eigenen Sichtweisen zu verstehen. Europa und Indien haben in Westasien gemeinsame Interessen, die es abzustimmen gilt, selbst in Afghanistan. Einen Beitrag hierzu leisten könnte insbesondere Merkels Treffen mit Vizepräsident Ansari, der ein exzellenter Fachmann zu Westasien und den indischen Interessen in dieser Region ist.

Auch die Annäherungen zwischen Indien und China mit ihren Konsequenzen für Europa und die westliche Welt gilt es zu erfassen. Sowohl die Inder als auch die Chinesen waren über ihre politische Behandlung durch die deutsche Gastgeberin beim G 8-Gipfeltreffen in Heiligendamm keineswegs erbaut, wie informierte Beobachter zu berichten wussten. Indes demonstrieren die China-Besuche von Congress-Präsidentin Gandhi als Gast der Kommunistischen Partei als auch Außenminister Pranab Mukherjees Teilnahme am dritten Treffen der Außenminister Chinas, Russlands und Indiens in der letzten Oktoberwoche indirekt die neue Qualität dieser Beziehungen.

Merkel mag sich in Berlin kaum für die außenpolitischen Weltbilder der Linken interessieren. In Delhi sollte sie allerdings gewappnet sein, sich argumentativ mit der ablehnenden Haltung gegenüber den USA, wie sie von sozialdemokratisierten Kommunisten und wichtigen Regionalparteien vertreten wird, auseinanderzusetzen, um die außen- und innenpolitischen Sachzwänge von Premier Singh und seiner Regierung zu verstehen. Einen kleinen Einblick in die verwirrende Komplexität der indischen Demokratie und Innenpolitik dürften die Treffen mit Sonia Gandhi und Oppositionsführer Advani geben.

Möglichkeiten deutschen Engagements

Deutschland kann sich in Indien vielfältig einbringen: Infrastruktur, das Für und Wider von Nuklearenergie, Konzepte nachhaltiger Entwicklung mit alternativen Energieträgern, die deutsche Wirtschaft als Partner der indischen Groß-, Mittel- und Kleinindustrien, eine verstärkte Kulturarbeit auch für breitere Volksschichten, intensive Wissenschafts- und Forschungskooperation – der Indo-German Science Circle und der während des Merkel-Besuchs lancierte Wissenschaftszug, der verschiedene Landesteile besuchen wird, sind erfolgreiche Beispiele – , Modelle der Parteienfinanzierung, das Subsidiaritätsprinzip, die Historie der Sozialversicherung und der systematische Aufbau bilateraler Informationssysteme, die auch das fehlende Gedächtnis praktisch aller deutschen Institutionen, die sich mit Indien befassen, dauerhaft stützen könnten, sind nur einige der Mosaiksteine, die eine umfassende strategische Partnerschaft mit pulsierendem Leben erfüllen könnten.

Wie wichtig wäre es darüber hinaus, dass sich Deutschland, etwa durch die in Delhi vertretenen politischen Stiftungen, aber auch Europa insgesamt in die hiesigen Debatten breitenwirksam einbringen würden, um subtil, auch gegenüber den Kommunisten, auf das vereinte Europa als einem wichtigen Akteur der Internationalen Politik sowie auf sein Konzept einer multipolaren Welt und erweiterten Nachbarschaft aufmerksam zu machen.

Ist doch Europa als Ganzes in seiner Vielfalt und mit den jeweils komparativen Vorteilen einzelner Staaten gefordert, den indischen Koloss mit all seinen ex- und internen Problemen sowie seiner sich sichtbar entfaltenden Wirtschaftskraft mit acht Prozent, potenziell sogar bis zu zehn Prozent Wachstum angemessen anzunehmen. Die Bundesrepublik allein scheint dazu nicht mehr in der Lage, und kleinere Länder, wie Österreich, die Niederlande und speziell Israel, sind oft reicher an Ideen und voller Engagement.

Das demokratische Indien, eine – wenn auch noch auf tönernen Füßen stehende – künftige Weltmacht des 21. Jahrhunderts, zugleich eine bemerkenswert offene Gesellschaft, sollte für Deutsche und Europäer zum groß angelegten und dauerhaften Projekt mit hoher Priorität werden. Der Arbeitsbesuch des "Engels von jenseits der Mauer", wie der liberale Indian Express Merkel bei Antritt ihrer Kanzlerschaft 2005 bezeichnete, kann dazu die Weichen für eine gemeinsame Zukunft stellen, in der Deutschland als Teil eines einheitlicher auftretenden Europas nicht nur von der indischen Elite als kongenialer und vertrauenswürdiger Partner akzeptiert wird.

Kommentare

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Angela Merkels Deutsch-Indischer "Wissenschaftaustausch"

Posted by: Crosji am 29. Oktober 2007:

Das steht sie nun in ihrem Kanzlerinamt und erzählt wie wichtig der wissenschaftliche Austausch mit Indien sei. Dafür fliegen extra Delegierte mit der Bundeskanzlerin nach Delhi und wollen 57 Kooperationsprojekte bestaunen. Und keine drei Kilometer vom Kanzlerinamt entfernt wird an der Humboldt Universität die Südasienabteilung geschlossen. No comments? Action needed!